neuroDidactX - Talking Future Education 2022
Impressionen
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Rückblick
Der Schwerpunkt von neuroDidactX 2022 lag auf den Wechselbeziehungen von kognitiven Fähigkeiten zur Steuerung von Verhalten, Denk- und Lernprozessen, aktivierenden und motivierenden Ansätzen im Fremdsprachenunterricht sowie dem Sprachenlernen.
Tag 1
18. November 2022
Impulsvortrag: Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Entwicklung von Gehirn und Geist: Die Bedeutung der ersten 20 Jahre
Ein wesentlicher Aspekt des Vortrags war die außerordentliche Bedeutung der Gehirnentwicklung in Kindheit und Jugend für die Ausbildung der geistigen Leistungsfähigkeit und damit des kognitiven „Funktionsniveaus" (mental capacity, mental capital). Eine aktuelle Veröffentlichung in Nature (Bethlehem et al., 2022) zeigt anhand der Analyse von über 120.000 MRT-Untersuchungen (Magnetresonanztomographien) den Verlauf der Gehirnentwicklung des Menschen über die Lebensspanne auf. Basis der Studie waren MRT-Scans des Gehirns von Personen verschiedenen Alters (vorgeburtlich bis zum Alter von 100 Jahren). Die Daten zeigen, dass im Alter von ca. 20 Jahren [1] sowohl das Volumen der grauen Substanz (umfasst die sog. „grauen Zellen“, also unsere Nervenzellen) als auch das der weißen Substanz, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen enthält, sein Maximum erreicht hat. Die Struktur der Verbindungen zwischen den Nervenzellen bestimmt wesentlich, wie schnell eine Person Inhalte verarbeiten, speichern und z.B. neu kombinieren kann [2] und damit die geistige Leistungsfähigkeit. Die geistige Leistungsfähigkeit wiederum hat Einfluss auf die Effizienz, mit der eine Person Neues lernt sowie auf ihre Denkprozesse und z.B. ihre Kreativität und geistige Wendigkeit aber auch auf ihre sozial-emotionalen Kompetenzen und ihre Resilienz (die Fähigkeit mit schwierigen Situationen und belastenden Ereignissen umzugehen). Mit den aufgezählten Fähigkeiten hängen unter anderem beruflicher Erfolg, gute soziale Beziehungen und die allgemeine „Lebenszufriedenheit“ zusammen, aber auch die geistige Gesundheit im höheren Lebensalter und das Demenzrisiko. Das Ende des im MRT-Scan sichtbaren Wachstumsprozesses ebenso wie Studien auf der Basis psychologischer Tests (Kremen et al., 2019; Foverskov et al., 2020) legen nahe, dass die jeweils individuelle Effizienz und Qualität von Lern- und Denkprozessen ab dem frühen Erwachsenenalter weitgehend stabil und nicht mehr wesentlich beeinflussbar ist [3]. Dementsprechend kommt im Hinblick auf die geistigen Fähigkeiten den ersten (ca.) 20 Lebensjahren und damit den Bildungseinrichtungen eine wichtige Funktion zu. Neben der Dauer des Besuchs von Bildungseinrichtungen (Lövdén et al., 2020) haben während der Kindheit und Jugend das Erziehungsverhalten der Eltern und die Förderung der Kinder in der Familie Einfluss auf die Entwicklung. Im Jugendalter kommt u.a. die Fähigkeit, negativem Gruppenzwang zu widerstehen, als positiver Faktor hinzu. Negative Faktoren sind dagegen Armut (mit entsprechender Mangelernährung) und Stress insbesondere in der frühen Kindheit, (früher/zu hoher) Medienkonsum, Traumata während der Kindheit sowie Substanzmissbrauch (Spitzer, 2016; Manwell et al., 2022). Zudem werden Schlafmangel und Bewegungsmangel als negative Faktoren diskutiert.
[1] Bei diesem Wert handelt es sich um einen Mittelwert der untersuchten Personen. Das genaue Alter, in dem bei einer einzelnen Person dieser Entwicklungsstand erreicht ist, kann deutlich abweichen und ist sowohl von genetischen Faktoren als auch von Umwelteinflüssen abhängig.
[2] Im Vortrag nicht genannt, aber in diesem Zusammenhang aufschlussreich ist die Arbeit von Jiang, Calhoun, Cui et al. (2020). Brain Imaging Behav, 14(5), 1979-1993.
[3] Das Ende des im MRT-Scan sichtbaren Wachstumsprozesses bedeutet zwar nicht, dass eine Person nicht auch nach dieser Reifungsphase noch viele neue Inhalte und Fertigkeiten erlernen kann. Wie leicht und nachhaltig sie lernt und bis zu welchem Komplexitätsgrad sie neue Inhalte geistig durchdringen kann, könnte dadurch aber sehr wohl festgelegt sein.
- Bethlehem, Seidlitz, White et al. (2022) Brain charts for the human lifespan. Nature, 604(7906), 525-533.
- Foverskov, Glymour, Mortensen, et al. (2020). Education and adolescent cognitive ability as predictors of dementia in a cohort of Danish men. PloS one, 15(8), e0235781.
- Kremen, Beck, Elman, et al. (2019). Influence of young adult cognitive ability and additional education on later-life cognition. PNAS, 116(6), 2021-2026.
- Lövdén, Fratiglioni, Glymour, Lindenberger, & Tucker-Drob, (2020). Education and cognitive functioning across the life span. PSPI, 21(1), 6-41.
- Manwell, Tadros, Ciccarelli, & Eikelboom, (2022). Digital dementia in the internet generation. Journal of Integrative Neuroscience, 21(1), 28.
- Spitzer, M. (2016). Armut macht dumm. NHK, 35(04), 252-261.
Transferdiskussion Tag 1
In der anschließenden Transferdiskussion haben die Teilnehmer:innen der neuroDidactX ihre Überlegungen, Ideen, Anregungen und offenen Fragen auf Plakaten festgehalten. Diskutiert wurde intensiv die Frage, wie die ersten 20 Lebensjahre am besten genutzt werden können, was und wie in dieser Zeit gelernt werden sollte, die Rolle der Bildungsinstitutionen und Familien in dieser Zeit, die Bedeutung von frühem sprachlichen Input, handelndem Lernen und die Frage der Nutzung digitaler Medien. Als sehr eindrücklich wurde auch der Einfluss von Armut auf die Hirnentwicklung und damit die geistige Entwicklung wahrgenommen. Abschriften der Plakate mit den Diskussionsbeiträgen finden Sie hier.
Tag 2
19. November 2022
Impulsvortrag: Prof. Dr. Markus Kötter
Wörter aktiv vernetzen: Wortschatzaufbau in der Fremdsprache
Wer eine Fremdsprache (FS) beherrschen will, muss dafür nicht nur mehrere 1000 Wörter und Wendungen gelernt, sondern sie vor allem auch zwischenzeitlich nicht wieder vergessen haben. Dafür bedarf es einer regelmäßigen Auffrischung und Umwälzung des bereits Gelernten. In diesem Vortrag geht es darum, wie Wortwissen systematisch konsolidiert und fremder Wortschatz so möglichst effektiv vernetzt werden kann. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei Praktiken, die auf mehrkanaliges Lernen setzen und/oder bei denen über simples Üben hinaus auch exekutive Funktionen eine Rolle spielen. Hierzu zählt neben der bewussten Kombination gestischer und/oder motorischer Verfahren mit der Verarbeitung von Sprache etwa der gezielte Rückgriff auf komplexere Vokabellernstrategien. Zur Sprache kommen werden aber auch neuere Untersuchungen zur Rolle formelhafter Wendungen im Aufbau eines fremdsprachlichen Wortschatzes sowie Erkenntnisse aus der Forschung zur sog. private speech. Dabei handelt es sich um selbstaddressierte Äußerungen zur Selbstregulation von Verhalten und Emotionen, die besonders häufig bei Kindern im Alter zwischen zwei und sieben Jahren zu beobachten sind. Das ursprünglich im Rahmen von Vygotskys socio-cultural theory (SCT) entwickelte Konstrukt geht mittlerweile weit darüber hinaus und findet zum Beispiel auch im Rahmen der Erforschung von sog. verbal working memory (VWM) Berücksichtigung.
Transferdiskussion Tag 2
Mit der Transferdiskussion an Tag 2 wurde die gesamte Tagung abschließend in den Blick genommen. Diskutiert wurden auf der Basis der Vorträge Veränderungen in der Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts (z.B. die Nutzung spontaner Strategien der Lernenden, insbesondere privat speech, Vermittlung (ausgewählter) Vokabellern-Strategien) bis hin zu Möglichkeiten für eine veränderte Überprüfung von Lernleistungen. Darüber hinaus wurden Veränderungen der Schul- und Unterrichtskultur in den Blick genommen (scaffolding, Nutzung des Austausches zwischen den Schüler:innen im Unterricht, Ermöglichung spontaner Sprachproduktion) und Motivation und Lebenswirklichkeit der Schüler:innen (u.a. Migrationshintergrund, Mehrsprachigkeit, Affinität zu digitalen Medien, Relevanz der Lerninhalte) diskutiert. Ein weiterer Diskussionsstrang nahm die Bedeutung von Forschungsinhalten in der Ausbildung der Studierenden und Referendar:innen in den Blick, außerdem fachdidaktische Inhalte in Fortbildungen der 3. Phase sowie die Nutzung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse im Fremdsprachenunterricht. Abschriften der während der Diskussion in den vier Gruppen entstandenen Plakate finden Sie hier.
Diese Veranstaltung wird unterstützt von: